Denkt man an Indien, denkt man an Bollywood, IT-Unternehmen – und Slums. Allein in Delhi soll es etwa 750 Slums geben, in welchen drei Millionen Menschen leben. In Mumbai sollen neun Millionen Inder in den armseligen Behausungen wohnen, fast zwei Drittel der gesamten Stadtbevölkerung. Sie alle profitieren kaum oder gar nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung des Subkontinents, und schon gar nicht vom Börsenboom. Dies soll sich nun ändern. In Kürze soll ein erster Fonds aufgelegt werden, der schon ab einer Mindesteinlage von 250 Rupien (ca. 2,80 EUR) bespart werden kann. Weitere dieser sogenannten Systematic Investment Plans (SIPs) werden womöglich folgen. Damit sollen auch einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Slumbewohner, die Möglichkeit erhalten, in den Kapitalmarkt zu investieren und von dessen Wachstum zu profitieren.
Motor der Initiative ist die indische Finanzmarktaufsicht Securities and Exchange Board of India (SEBI). Um die Durchführbarkeit sicherzustellen, führte die Regulierungsbehörden intensive Gespräche mit der Association of Mutual Funds in India (AMFI) und wichtigen Akteuren des Sektors. Eine der Herausforderungen ist, dass die Kosten so niedrig gehalten werden, dass ein SIP auch bei Sparanlagen von nur 250 Rupien pro Monat wirtschaftlich tragfähig ist.
Der erste seiner Art, der nun an den Start gehen soll, wird von Aditya Birla Sun Life Mutual Fund verantwortet, einem der führenden Vermögensverwalter Indiens, der 1994 von der indischen Aditya Birla Group und der kanadischen Sun Life Financial gegründet wurde. Da Indien in Sache Digitalisierung ein Vorreiter ist, können selbst Mitglieder der untersten Einkommensschichten Fondssparpläne problemlos aufsetzen. Nahezu alle Inderinnen und Inder verfügen inzwischen über eine digitale ID-Nummer. Mit dieser werden via App Bankkonten eröffnet, Rentenbescheide angefordert – oder Fondsparpläne eröffnet und verwaltet.
Madhabi Puri Buch, Vorsitzende der SEBI, will es bei diesem, weltweit bislang einzigartigen Schritt freilich nicht belassen. Neben Investitionen in neue Technologien, um den Onboarding- und Serviceprozess effizienter und damit noch kostengünstiger gestalten zu können, soll vor allem in finanzielle Bildung investiert werden. Dies sei essenziell, um das Vertrauen der Slumbewohner in solche Investmentmöglichkeiten zu stärken und ihnen die Vorteile langfristiger Investitionen näherzubringen. Die Möglichkeit, dass zum Beispiel auch Frauen in ländlichen Gebieten lernen, Geldautomaten zu benutzen, sei der Schlüssel zu einer breiteren finanziellen Eingliederung, so SEBI-Chefin Buch. Damit das gelingen kann, sollen künftig wichtige Vorschriften und Dokumente in den verschiedenen, in Indien vorherrschenden Dialekten und Sprachen veröffentlicht werden.
Buch geht davon aus, dass die Einführung der SIPs der indischen Investmentfondsbranche einen weiteren Schub verleiht. Laut Angaben des Datendienstleisters ICRA Analytics hat die Finanzindustrie in den letzten zehn Jahren das verwaltete Vermögen (AUM) um über das Fünffache gesteigert und dürfte in den nächsten zwei bis drei Jahren die Marke von 100 Mrd. Euro AUM überschreiten. Auch die indische Börse dürfte von den 250-Rupien-Fonds profitieren. Diese hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Auf Sicht von fünf Jahren kletterte der indische Börsenindex Sensex um 87 Prozent und damit etwas mehr als der S&P 500. Bislang investieren nur acht Prozent der indischen Bevölkerung in Fonds. Durch die Systematic Investment Plans dürfte dieser Anteil deutlich steigen.