Interview: Was die Denkfabrik so besonders macht
Christof Neumann, Leiter der HRK LUNIS-Denkfabrik, erklärt im Interview, wie der Think Tank arbeitet, welche Themen diskutiert werden, warum die Denkfabrik für HRK LUNIS so wichtig ist – und was er sich für die Zukunft wünscht.
Zunächst einmal eine grundsätzliche Frage: Was ist eigentlich die Denkfabrik von HRK LUNIS und wie kam es zur Gründung?
Die Denkfabrik bezeichnen wir immer als eine freidenkende Einheit innerhalb von HRK LUNIS. Wir haben sie 2017 ins Leben gerufen, damit wir jenseits unseres Alltagsgeschäfts über gesellschaftliche und technologische Trends debattieren, Know-how aufbauen und im besten Fall auch Investmentideen entwickeln können. Dabei gilt erstmal der Grundsatz: Die Gedanken sind frei. Sofern es im weitesten Sinne mit dem Kapitalmarkt zu tun hat, kann über jeden und jedes Thema gesprochen werden. Statt uns wie üblich von einzelnen Unternehmen nach oben zu arbeiten, drehen wir den Blick um: Wir starten bei den großen Trends – etwa demografischen Veränderungen, neuen Technologien oder geopolitischen Verschiebungen – und überlegen dann, welche Branchen davon profitieren könnten. Erst ganz am Ende schauen wir auf einzelne Firmen. Dabei lassen wir bewusst auch mal klassische Bewertungsmaßstäbe außen vor, um spannende Zukunftsunternehmen nicht zu übersehen.
Dass ein Vermögensverwalter solch einen Think Tank hat, ist ja eher ungewöhnlich. Warum ist die Denkfabrik für HRK LUNIS wichtig?
Ich gehe davon aus, dass auch andere Vermögensverwalter sich Gedanken über die Zukunft machen. Aber wir haben dafür einen speziellen Freiraum geschaffen, in dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre eigenen Interessen einbringen können. Der eine beschäftigt sich in seiner Freizeit gerne mit Autos, die andere mit Politik und ein Dritter hat vielleicht aus persönlichen Gründen immer die neuesten medizinischen Entwicklungen im Blick. In der Denkfabrik teilen wir dieses Wissen miteinander, und im Idealfall finden wir ein Unternehmen, in das es sich zu investieren lohnt. Oder wir kommen zu dem Ergebnis, dass es sich eben nicht lohnt, in dieses Thema oder diesen Trend zu investieren. Zudem sind wir so auf diversen Wissensgebieten ein kompetenter Gesprächspartner für unsere Kunden, denn nicht jedes Kundengespräch dreht sich nur um die aktuelle Performance. Ich habe den Eindruck, dass unser Know-how mittlerweile sehr geschätzt wird. Insofern ist die Denkfabrik für HRK LUNIS schon aus diesem Grund sehr wichtig geworden.
Wer arbeitet bei der Denkfabrik mit? Ist das ein kleiner, eher geschlossener Kreis oder steht sie offen für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Wirklich alle sind herzlich eingeladen, mitzugestalten. Das ist ja das Schöne, dass es in der Denkfabrik weder Hierarchie noch Ausgrenzung gibt, sondern alle Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen teilnehmen dürfen. Es besteht im Übrigen auch keine Verpflichtung sich einzubringen. Wer gerne nur zuhören möchte, ist ebenso willkommen.
Wie ist die Denkfabrik strukturiert? Kann man sich das eher als einen ständigen Austausch vorstellen oder gibt es regelmäßige Meetings oder Präsentationen?
Gute Frage – und die Antwort lautet: „Sowohl als auch.“ Grundsätzlich planen wir einmal pro Quartal ein großes Denkfabrik-Meeting, zu dem sich alle Kolleginnen und Kollegen aus unseren verschiedenen Standorten via MS Teams zuschalten können. Die Agenda dafür stelle ich im Vorfeld zusammen – basierend auf den Themen, die die Mitarbeitenden präsentieren möchten. Meistens sind das drei unterschiedliche Vorträge. Manchmal kommen aber auch ganz aktuelle Sonderthemen dazu, die wir kurzfristig aufbereiten. Solche Ideen entstehen oft spontan – etwa beim Austausch in der Mittagspause. Andere Themen sind ohnehin Dauerbrenner, da geht es dann eher um das richtige Timing. Ein gutes Beispiel dafür sind die Kreuzfahrtunternehmen, die wir mitten in der Corona-Pandemie wieder auf die Kaufliste genommen haben. Damals waren die Kurse im Keller, aber es war absehbar, dass viele Menschen mit dann prall gefüllten Urlaubskassen nach der Pandemie wieder auf Kreuzfahrt gehen werden.
Gibt es Themen, die die Denkfabrik besonders beschäftigen?
Natürlich. In den ersten zwei bis drei Jahren beschäftigten wir uns zum Beispiel viel mit dem Thema Mobilität der Zukunft. Die damals aufkommenden E-Autos, die Entwicklung des Autonomen Fahrens oder auch Car-Sharing- und Auto-Abo-Modelle waren seinerzeit stark in der Diskussion. Auch mit den sogenannten Flugtaxis haben wir uns intensiv beschäftigt. Dann hielt die Digitalisierung mehr und mehr Einzug in allen Lebensbereichen, die Blockchain und Kryptowährungen waren in aller Munde. Und seit drei Jahren ist die Künstliche Intelligenz das über allem stehende Thema. Und ein Punkt, der uns eigentlich immer begleitet – ganz egal, welches Thema gerade aktuell ist – ist die Demografie. Die spielt einfach überall mit rein. Allerdings haben wir häufig auch etwas abseitigere Themen – vom Plastik-Recycling über spezielle Krebstherapien bis hin zum Wettlauf um die meisten Stelliten im Weltall.
Wie entscheidet Ihr, welche Themen bei den Denkfabrik-Meetings präsentiert werden?
In der Regel muss nichts entschieden werden, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen immer mit spannenden Themen auf mich zu. Abgelehnt wurde daher noch nie ein Thema. Die besten Ideen entstehen übrigens oft ganz zufällig. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem Freund beim Betrachten eines Vogelbeerbaums. Der Freund, ein gelernter Gärtner, erklärte mir, dass diese Art in Deutschland bereits auf dem Rückzug ist. Daraus entstand dann ein Vortrag über die Wasserknappheit in Deutschland. Als Investmentidee haben wir dann den Weltmarktführer für Wasseraufbereitung identifiziert.
Was war bisher das für Dich überraschendste Thema, das im Rahmen der Denkfabrik behandelt wurde?
Oh, da waren einige überraschende und auch delikate Themen dabei, wie zum Beispiel der kurzzeitige Boom der Cannabis-Aktien oder der Hype um die sogenannten „Non-Fungible Token“. Wir haben damals sogar ein eigenes NFT kreiert, das nach wie vor fälschungssicher und unkopierbar in der Blockchain gespeichert ist. Und vor kurzem erst hatten wir „Organische KI“ zum Thema, wo es vereinfacht darum geht, biologisches Gewebe mit Maschinen zu verbinden. Da fühlt man sich wie im Science-Fiction-Roman.
Welche Meetings sind Dir besonders gut in Erinnerung?
Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir die Meetings, in denen wir einen realen Praxisbezug hergestellt haben. Zum Beispiel haben wir schon sehr früh eine Testfahrt mit einem Elektroauto unternommen oder die ersten veganen Burger in der Büroküche gebrutzelt und verkostet. Wir waren im Rahmen der Denkfabrik auch mal bei der Firma Nemetschek zu Besuch, einem weltweit führenden Anbieter von Softwarelösungen für die Bau- und Immobilienbranche. Mein persönliches Highlight war aber der Gastvortrag von Dr. Thomas Enders (Anm. d. Red.: ex-CEO von Airbus), der uns einen Einblick in die Zukunft der Luftfahrtindustrie gegeben hat.
Wie fließen Eure Erkenntnisse in die Arbeit von HRK LUNIS ein?
Die Kollegen aus unserem Investment Office nehmen auch an den Denkfabrik-Meetings teil und greifen die Themen auf, die sie für interessant halten. Wir dienen also mit unseren „Stories“ als Ideengeber, jenseits von Quartalsberichten und Analystenschätzungen.
Gibt es einen Moment, in dem Du gemerkt hast: Hier hat unsere Denkfabrik wirklich etwas bewegt?
Wenn ich sehe, wie viele Kolleginnen und Kollegen regelmäßig an unseren Meetings teilnehmen und mit wie viel Engagement sie sich einbringen, dann zeigt das: Die Denkfabrik hat bereits einiges bewegt. Was dabei oft vergessen wird – und mir wichtig ist, einmal zu betonen: Das Ganze läuft komplett auf freiwilliger Basis. Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als selbstverständlich, dass wir in den vergangenen acht Jahren bereits 37 Meetings auf die Beine gestellt haben. Auch im Vorstand genießt die Denkfabrik hohe Wertschätzung – und das motiviert uns natürlich, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Und zum Schluss: Was wünschst Du Dir für die Zukunft der Denkfabrik – mehr Raum, mehr Austausch, mehr Mut?
Kürzlich hat ein Kollege in der Denkfabrik einen Vortrag mit dem Titel „Indien entfaltet sich“ gehalten, ein Thema, mit dem er inzwischen auch vor externem Publikum auftritt. Die Resonanz ist durchweg positiv, und es gibt sogar konkrete Anfragen von Interessierten. Ich sehe darin eine echte Chance, die Sichtbarkeit von HRK LUNIS weiter zu erhöhen – was ich mir natürlich sehr wünschen würde. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir uns alle den Mut und die Neugier bewahren, trotz des anspruchsvollen Arbeitsalltags immer wieder über den Tellerrand hinauszuschauen.