Nach dem deutlichen Kurssturz am vergangenen Freitag sind die Kursverluste an den internationalen Aktienmärkten am Montag weitergegangen. In Japan verlor der Nikkei 225 allein am Montag mehr als 12 %, es ist der größte Kursverlust seit 1987. Der DAX hat seit Mittwoch in der Spitze mehr als 8 % verloren, der Nasdaq100 mehr als 10 %. Am Dienstagvormittag stabilisieren sich die Kurse wieder, aber die Märkte bleiben nervös. Die Gründe für den Abverkauf sind vielfältig. Binnen weniger Tage hat sich eine Melange aus schlechten Nachrichten zusammengebraut, die zu massiven Verkaufsordern geführt hat. Das HRK LUNIS-Investment-Team hat die Situation an den Kapitalmärkten analysiert, nennt die Gründe für den Abverkauf und gibt eine fundierte Einordung.
Einer der wichtigsten Gründe für den Kurssturz dürften schwache US-Arbeitsmarktdaten in der letzten Woche in Verbindung mit teilweise enttäuschenden Quartalszahlen einiger weniger Schwergewichte bei gleichzeitig hohen Markterwartungen gewesen sein. Zudem haben schwache Daten des US-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe die Sorge vor einer deutlichen Wirtschaftsabschwächung in den USA erhöht. Dadurch sind Ängste vor einer globalen Rezession neu aufgeflammt. Gleichzeitig liegt die Inflation noch deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel der Fed. Dies bringt die US-Notenbank in Handlungsnöte. Angesichts des bis dato starken Arbeitsmarkts hatte sie seit Jahresanfang erwartete Zinssenkungen ein ums andere Mal verschoben, um die Inflation einzudämmen. Nun wird spekuliert, dass sie womöglich sehr schnell die Zinsen senken muss, um eine Rezession zu verhindern. Zinssenkungen wegen Konjunktursorgen kommen an der Börse, anders als Zinssenkungen nach erfolgreicher Inflationsbekämpfung, schlecht an. Die Fed steckt also im Dilemma und viele Experten werfen den US-Geldhütern vor, den Beginn des Zinssenkungszyklus möglicherweise verpasst zu haben.
Zu den schlechten Nachrichten aus den USA gesellte sich der Crash am japanischen Aktienmarkt. Hintergrund ist die Aufwertung des japanischen Yen gegenüber dem US-Dollar von zehn Prozent in den vergangenen drei Wochen nach zahlreichen Impulsen seitens der japanischen Notenbank. Die Aufwertung des Yen hat zu einer massiven Auflösung des Yen-Carry-Trades geführt. Ein Carry Trade bedeutet im Allgemeinen, dass ein Investor von einem Land mit niedrigen Zinsen (in diesem Fall Japan) Geld leiht und dieses Geld in Vermögenswerte mit einer höheren erwarteten Rendite (zum Beispiel US-Technologieaktien oder US-Staatsanleihen) anlegt. Yen-finanzierte Carry Trades gehören zu den beliebtesten, da Anleger bislang darauf wetteten, dass die japanischen Zinsen auf einem Tiefststand bleiben würden und der Yen zeitgleich nicht aufwerten würde. Doch die Bank von Japan erhöhte die Zinsen auf ihrer letzten Sitzung zum zweiten Mal und signalisierte zusätzlich, dass weitere Zinserhöhungen möglich seien. Durch die Zinsbewegungen wertete der Yen gegenüber dem USD und anderen Währungen deutlich auf, wodurch die Yen-Schulden aus Sicht der Landeswährung der Investoren des Carry-Trades zunahmen. Global agierende Investoren sahen sich dadurch gezwungen, ihre Assets zu verkaufen, damit sie ihre Yen-Schulden begleichen können. Das wiederum löste eine sich selbst verstärkende Spirale aus Kursverlusten, weiterer Aufwertung des Yen und weiteren Asset-Verkäufen aus. Diese Auflösung der Yen-Carry-Trades trug – neben den Rezessionssorgen – erheblich zu den massiven Kursverlusten bei vielen Technologieaktien bei. Dies zeigt, wie eng der globale Kapitalmarkt inzwischen miteinander verwoben ist.
Auch die Situation im Nahen Osten beunruhigt die Anleger. Nachdem der israelische Sicherheitsapparat im Zimmer eines Gästehauses der iranischen Regierung in Teheran den Auslandschef der islamistischen Hamas getötet hatte, wird eine weitere Eskalation im Nahen Osten befürchtet. Sollte es zu einem Flächenbrand in der Region kommen, könnte davon auch die globale Ölversorgung beeinträchtigt werden. Bislang spiegelt sich das an den Rohstoffmärkten nicht wieder, der Ölpreis hat zuletzt aufgrund der überwiegenden Rezessionssorgen sogar nachgegeben.
Neben diesen drei großen Themen sorgen weitere Meldungen für Verunsicherung. So hat der KI-Profiteur Nvidia Berichten zufolge offenbar Probleme mit seiner nächsten Generation von KI-Chips. Aufgrund eines Designfehlers werde sich der Produktionsstart des sogenannte Blackwell-Prozessors um drei Monate nach hinten auf Anfang kommenden Jahres verschieben, heißt es in der Presse. Nvidia dementiert dies und stellt klar, dass das Hochfahren der Produktion noch in diesem Jahr erfolge. Die Nachfrage ist groß, praktisch alle namhaften großen Cloud-Anbieter haben große Stückzahlen geordert. Dennoch belasteten die Gerüchte die ohnehin unter Druck stehenden Tech-Aktien zusätzlich.
In diesem Zusammenhang stieß auch die Nachricht, dass Warren Buffett in den vergangenen Wochen die Beteiligung an Apple in den Depots seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway halbiert hat, auf Skepsis. Wie das Unternehmen am Samstag mitteilte, schrumpfte der Bestand an Apple-Aktien bis Ende Juni um 390 Millionen auf etwa 400 Millionen. Bereits im ersten Quartal hatte Buffett 115 Millionen Apple-Aktien zu Geld gemacht. Der iPhone-Hersteller soll aber auch künftig das größte Aktieninvestment von Berkshire Hathaway bleiben. An der Börse hatte der Aktienverkauf keine Spuren hinterlassen. Im Gegenteil. Mitte Juli war der Konzern aus Cupertino auf ein neues Allzeithoch gestiegen.
Es ist also fast so etwas wie der perfekte Sturm, der dieser Tage über die Märkte hinwegfegt. Dies alles trifft auf urlaubsbedingt dünn besetzte Handelssäle. Automatisierte Verkaufsorders von computergesteuerten Strategien erhalten dadurch besonderes Gewicht. Auffallend ist, dass auf der Aktienseite seit Freitag fast wahllos alles verkauft wurde. Auf der Anleihenseite waren vor allem Staatsanleihen gesucht, auch Gold hielt sich robust.
Bei den jüngsten Entwicklungen scheint es sich bis dato um eine Korrektur voriger Exzesse zu handeln. Die daraus resultierenden Bewegungen dürften vor allem Sentiment-getrieben sein. Sie sind also – wie unseres Erachtens zuvor auch einige Aktienbewertungen mit immer neuen Höchstständen – stark von Anlegerstimmungen geprägt. Diese Entwicklung in Verbindung mit den zuvor geschilderten komplexen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhängen genau zu prognostizieren, ist unmöglich. Zumal die globalen Aktienmärkte auf Kalenderjahressicht auch nach den jetzigen Rücksetzern teilweise noch immer im deutlich positiven Bereich liegen. Eine seriöse Anlagestrategie basiert vielmehr weiterhin auf einer genauen Beobachtung der Märkte und soliden Einschätzungen von individuellen Chance-Risiko-Verhältnissen in den verschiedenen Anlagemöglichkeiten. Wir fokussieren uns dabei einerseits weiterhin auf Qualitätstitel und bleiben tendenziell defensiv. Durch die Kurskapriolen der letzten Tage bieten sich bereits erste gute Opportunitäten. Weitere könnten bei erneuten Kursrücksetzern folgen. Eine bereits erhöhte taktische Liquidität bietet die perfekte Basis, um Einstiegschancen bei den ein oder anderen Werten zu nutzen. So wird die Marktvolatilität zum Freund des langfristig orientierten Anlegers.