1 September 2022

Wie wahrscheinlich ist eine Rezession in Deutschland?

Die historisch hohe Inflation, damit einhergehende stetig steigende Lebenshaltungskosten, Zinssteigerungen und hohe Rohstoffpreise sind starke Indikatoren dafür, dass die meisten Volkswirtschaften, darunter die Eurozone, Großbritannien und die USA, voraussichtlich in eine technische Rezession fallen werden beziehungsweise sich in Teilen bereits darin befinden. Die Frage, die sich nun vor allem stellt, ist, ob uns ein starker oder schwacher Konjunkturrückgang bevorsteht.

Unter Rezession versteht man allgemein einen Rückgang. Im konjunkturellen Zyklus folgt der Abschwung immer einem wirtschaftlichen Boom und ist im Grunde „normal“. Von einer technischen Rezession spricht man, wenn eine Volkswirtschaft gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt (BiP) in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen eine schrumpfende Wirtschaftsleistung zeigt. Obwohl die Gefahr einer globalen Rezession stetig steigt und sich Teile der Welt bereits in einer technischen Rezession befinden, ist unsere Einschätzung, dass sie – zumindest in den USA – weder tiefgreifend noch lang anhaltend sein wird. Ausschlaggebend hierfür wird die weitere US-Geldpolitik sein.

Aufgrund der zwischenzeitlich starken Kursrückgänge befinden wir uns in einem sogenannten Bärenmarkt (anhaltend sinkende Kurse), der in der Regel seinen Tiefpunkt erreicht, wenn sich die Wirtschaft in einer Rezession befindet, die Produktion ihre Talsohle aber noch nicht erreicht hat. Ist die Rezession erst einmal Realität, schaut der Kapitalmarkt bereits nach vorne und fokussiert sich auf den folgenden Aufschwung. Der Wendepunkt ist häufig erreicht, wenn die Zinserwartungen zu sinken beginnen. An diesem Wendepunkt könnten sich die USA bereits befinden. Von Seite der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen sind in den kommenden Monaten weitere Zinserhöhungen zu erwarten, um die steigende Inflation zu bremsen.

Die Rezessionsrisiken in Europa sind aufgrund der Energieabhängigkeit in erster Linie politisch bedingt. Die angespannte Lage bei der Gasversorgung lässt viele sorgenvoll in die Zukunft blicken. Die Aussicht, dass Russland die Gaslieferungen kurz- bis mittelfristig einstellt, lässt im Zusammenhang mit sich abschwächenden wirtschaftlichen Fundamentaldaten einen schweren Abschwung befürchten. Typische Merkmale einer Rezession sind stagnierende oder sinkende Preise, Löhne und Zinsen, sinkende Inflation, Kündigung von Arbeitskräften, Abbau von Überstunden, Kurzarbeit, verhaltene Investitionsbereitschaft, Rückgang der Nachfrage, überfüllte Lager bis hin zur Stilllegung von Produktionsanlagen sowie fallende Börsenkurse.

Im Arbeitsmarkt ist von einer Rezession derzeit noch nichts zu spüren, zudem steigen Preise und Zinsen aktuell. Bei Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen hingegen macht sich die prekäre Situation bereits bemerkbar. Die Auftragsbücher produzierender Betriebe sind voll, können aber aufgrund fehlender Rohstoffe und globaler Lieferkettenprobleme nicht ausgeführt werden. Dienstleistungsunternehmen und der Handel leiden unter der abnehmenden Investitionsbereitschaft von Auftraggebenden und privaten Haushalten, die aufgrund der hohen Preise für Energie und Nahrungsmittel in den Sparmodus gehen. Fallende Börsenkurse begleiten uns bereits seit Jahresbeginn. Es gibt leichte Hinweise darauf, dass sich der Finanzmarkt wieder etwas gefangen hat: Schlechte Nachrichten wirken sich nicht mehr unmittelbar negativ aus und aktuelle Risiken sind inzwischen teilweise eingepreist. Da Analyst:innen ihre Gewinnschätzungen bisher jedoch nur wenig nach unten korrigiert haben, besteht die Sorge, dass eine kommende Rezession noch nicht ausreichend in den Kursen berücksichtigt ist. Entwarnung kann man also noch nicht geben, doch halten es Ökonom:innen für sehr wahrscheinlich, dass die Inflation in den USA bereits ihren Höhepunkt erreicht hat, wohingegen in Deutschland die Spitze im September erwartet wird. Dann entfallen Vergünstigungen wie der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket und es wird voraussichtlich noch einmal einen Teuerungsschub geben, bis das dritte Entlastungspaket verabschiedet ist und in Kraft tritt.

Rezessionen sind ein natürlicher Bestandteil des Konjunkturzyklus, wirtschaftliches Wachstum kann kein Dauerzustand sein. In der Vergangenheit haben wir schon viele technische Rezessionen erlebt, die zwischen einem halben und 1,5 Jahren* anhielten:

  • 1966/1967 Stabilisierungskrise
  • 1974/1975 Erste Ölkrise
  • 1980 Zweite Ölkrise
  • 1982 Konsolidierungskrise
  • 1991 Wiedervereinigungskrise
  • 1993 Konsolidierungskrise
  • 2002/2003 High-Tech-Krise
  • 2008/2009 Finanz- und Wirtschaftskrise
  • 2012/2013 Revisionskrise

Von all diesen Wirtschaftskrisen hat sich Deutschland erholt und wird auch die nächste Rezession überstehen – wann immer sie eintreten wird.

Haben Sie Fragen dazu, wie unser Portfolio Management auf die aktuellen Entwicklungen reagiert? Dann wenden Sie sich gerne an unseren Ansprechpartner: Saliou Amann, saliou.amann@lunis.de

 

 

*Wirtschaftsdienst / Jahrgänge / 2019 / Heft 8 / Rezessionen in der Bundesrepublik Deutschland von 1966 bis 2013